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Weges-Rand-Notizen: Auf den Spuren des Dregenios V

Fünfter Tag, Mi. 9.6.2010

Vom Frühstück im Gästehaus Luger zu Ernstbrunn habe ich ja bereits in „Echtzeit“ auf Facebook berichtet. Für diejenigen, denen meine frühmorgendliche Begeisterung entgangen war, wiederhole ich sie hier der Einfachheit halber noch einmal:

Köstliches Frühstück in einer großen, sonnendurchfluteten, hochmodernen, unendlich gemütlichen Bauernküche. Duftender Kaffe, frisches Brot, Schinken und Honig direkt vom Erzeuger. Dazu dezent Norah Jones im Hintergrund, zwitschernde Vögel vor dem Fenster und der Haushund neben dem Erdziegelkamin. Fast wie aus einer anderen Welt oder Zeit. So schön, so friedlich, dass ich beinahe weinen möchte.

Ernstbrunn verfügt, für einen so kleinen Ort, über eine ganz erstaunliche Anzahl an Sehenswürdigkeiten. Zum einen das Schloss Ernstbrunn, welches eine Anlage von beachtlicher Größe ist, mit diversen Komplexen, von denen einige frisch renoviert, einige in Restauration begriffen und einige nur noch Grundmauerwerk sind. Mitten in den umliegenden Äckern stehen auf der Südseite etwas bizarr übermannsgroße Denkmäler und verwitterte Gedenkseiten und zeugen davon, das diese Länderein wohl mal einen ansehnlichen Schlosspark dargestellt haben. Das Schloss, sowie das angrenzende, gewaltige Waldareal befinden sich in Privatbesitz. Die Fürstenfamilie Reuss hat hier eigens eine privat Waldverwaltung errichtet und zugleich eine nicht eben kleine Menge an Gebots- und noch mehr Verbotsschildern. Mein „Lieblingsschild“ darunter besagt „Picknicken verboten“. Man merkt deutlich, dass die werte Familie Reuss Ihre Besitztümer zwar der Öffentlichkeit zugänglich macht, vermutlich auf Staatsvertraglicher Grundlage, dies aber nicht eben mit allzu großer republikanischer Begeisterung. Nunja, das Adelsgeschlecht, das bis ins 13 Jahrhundert zurückreicht, hat seinen Stammsitz schließlich in Gera und herrschte lange Zeit vorwiegend in Thüringen. Piefkes also. Was die vielen großen Landrover mit deutschen Kennzeichen vor dem Hauptportal erklärt und noch zu einer netten Entdeckung führt. Zu den bekannteren Mitgliedern der Großfürstenfamilie Reuß, die sich in zwei Haupt- und mindestens zwei Duzend Nebenlinien gliedert, zählt neben Eleonore Reuß zu Köstritz, der späteren Bulgarischen Königin auch eine gewissen Anni-Frid Lyngstad Prinzessin Reuß zu Plauen, besser bekannt auch als Frida und noch besser bekannt als wahlweise erstes oder viertes A der Gruppe ABBA.

Begeisterung meinerseits kommt auf, als ich hinter einer der alten, backsteinernen Mauern ein Rudel Wölfe entdecke. Kein wildes natürlich. Am nächsten Tor zu der hinter den Mauern liegenden Anlage lese ich, dass dort das „Wolf Science Center“ seinen Sitz hat. „Betreten der Forschungsgehege verboten“. Nun, ausnahmsweise mal ein Verbot, dem ich gern nachkomme. Erstaunt bin ich, dass meine Oberschnüffelnase Brooklyn, die einen dussligen Fasan auf 250 Meter ausmacht, von den entfernten Verwandten hinter dem Mauerwerk keine Notiz nimmt.

Die dritte Attraktion schließlich, und allem Anschein nach die Zugkräftigste, ist der Wildpark Ernstbrunn. Ein ausgesprochen großes, auf mehrere Hänge verteiltes Freigehege aller möglichen Wildarten. Heimischer und eingeheimischter. An diesem Mittwoch Mittag stehen bereits fünft Reisebusse auf dem dazugehörigen Parkplatz und von der anderen Seite des Parkzaunes härt man es wild schnattern. Schulkassen beim Sommerausflug.

Der Park hat allerdings auch den unangenehmen Effekt, dass ein gutes Stück meines geplanten Weges für mich und Mrs Hund nicht begehbar sind. Aus meiner Karte war dies leider nicht ersichtlich. Überhaupt weist die Karte, die ich hier an anderer Stelle ja bereits lobend erwähnt habe, den ein oder anderen Aussetzer auf, was mir heute gut und gerne rund eine Stunde zusätzliche Marschstrecke beschert.

Der größte Teil unseres Weges führt uns heute durch Wald. Was gut ist, für Brooklyn, die sich im Schatten der hohen alten Bäume sichtlich wohler fühlt, als auf dem freien Felde. Mir kommt nur leider meine geliebte Aussicht abhanden, wenngleich vor allem die knorrigen, verwunschen verwachsenen Eichen auch für so manche Fotomotiv gut sind. Jedoch ist Stehenbleiben zum Fotografieren im Wald ein eher zweifelhaftes Vergnügen. Denn sobald wir das Tempo drosseln, holen uns die Heerscharen an Mücken ein und fallen über uns her. So sind wir dann doch beide froh, nach rund 5 Stunden im Hochwald endlich wieder freies Land zu betreten. Und ich werde mit einem erneut fulminanten Landschaftsgemälde im Sonneuntergang belohnt.

Unsere heutige Unterkunft wird vom Wirt des Dorfgasthofes in Patzmannsdorf vermietet. Was nicht bedeutet, dass es Zimmer im Gasthof gibt. Die Schwiegermutter des Wirtes zeigt uns den Weg zum Gästehaus. Wir sollen die kleine Gasse entlang laufen, sie würde dann am anderen Ende auf uns warten. Und fort war sie, auf ihrem metallic glänzenden, nagelneuen Elektrofahrrad.

Das Gästehaus ist ein ebenso brandneu renoviertes Bauernhaus mit hübsch eingerichteten Zimmern, terracotta Fliesen im Gang und entzückendem Ausblick auf die Gärten der gegenüberliegenden Nachbarn, in denen sich fröhlich Gänse, ein paar Ziegenböcke und ein paar große, zottige Jagdhunde tummeln.

Im Dorfgasthaus selbst - „Zum goldenen Löwen“, gegründet 1740 - gibt es hingegen noch eine Glasvitrine mit einer Auswahl an Fruchtgummis, die man einzeln erwerben kann, mit Milkaschokolade und kleinen Underbergflaschen. Auf dem Bord darüber stehen zwei Radiogeräte aus den frühen Fünfzigern und an der Wand dahinter ein Fernsehgerät aus dem gleichen Jahrzehnt. Die übrige Einrichtung dürfte in etwa zehn bis 15 Jahre jünger sein. Ausgenommen die chromblitzende HiTec Espressomaschine und der Laserschwertarigen Anti-Mücken-Lampe neben dem Eingang.

Zur Küche links neben dem Tresen führt noch eine echte Dopelleschwingtür, wie einst im Saloon. Nachdem ich bestellt habe, geht der Wirt – lässig gekleidet in blauen Shorts und grauem Unterhemd – höchstselbst durch ebendiese Schwingtüren und schaltet in der Küche erstmal das Licht an. Die Cevapcici, die ich bestellt habe, sagt er, seien selbst gemacht. Nix gekauftes. Ich richte mich also auf eine mittlere Wartezeit ein, schalte den Lap-Top an und schreibe diese Zeilen.

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