Wie immer, wenn etwas Ungeheuerliches, von Menschen
Verursachtes geschehen ist, liest und hört man an allen Ecken und Enden, in
unzähligen Kommentaren professioneller Journalisten ebenso wie in Postings von
Freunden und Social-Bekanntschaften, was „man“ jetzt tun müsste.
Ich gestehe, dass auch ich oft und gerne dieser
wahrscheinlich schlicht menschlichen Neigung nachgebe, meinen Senf dazu
abzugeben, was „man“ zur Verbesserung einer bestimmten Situation oder auch
schlichtweg zur Rettung der Welt, zu tun hätte. Das angenehme dabei ist ja,
dass es in aller Regel keinerlei Verpflichtungen nach sich zieht, da man selber
ja ohnehin nie auch nur annähernd in der Position oder Situation ist, um die
angemahnten Verbesserungen durchzusetzen. Der ausgestreckte Zeigefinger – „die
da müssen“ – ist zum Reflex unserer Gesellschaft geworden.
Eine angenehme
Ausnahme bot dieser Tage SPON-Kolumnist Sascha Lobo,der in seinem
Trump-Beitrag immerhin mehrfach ein selbstkritisches „wir“ anbrachte.
Vielleicht ist es dem Ausmaß der Unbegreiflichkeit dieses
Sieges von The Donald geschuldet, vielleicht dem Schmerz eines in Westeuropa
voll und ganz im Zeichen des American Dream Sozialisierten, dass auch ich mich
dieses Mal persönlich betroffen und persönlich gefordert fühle.
Seit jener Wahlnacht bedrängt mich das Gefühl, dass nicht
„man“ dieses oder jenes machen und tun sollte, sondern, dass ICH etwas
unternehmen muss. Allerdings stehe ich dabei nun vor dem Problem, vor der „man“
offenkundig allerorts genauso steht:
Ich habe keine
Ahnung, WAS nun zu tun ist.
Was kann ich tun, damit im Dezember in Österreich nicht der
nächste Demagoge in ein Präsidentenamt kommt? Wie kann ich dazu beitragen, dass
das Virus nicht weiter um sich greift? Dass nach Russland, Ungarn, Griechenland,
Polen, der Türkei, den Philippinen, Großbritannien, den USA nicht als nächstes
Frankreich angesteckt wird und dann Deutschland? Dass der neue Nationalismus
nicht die EU sprengt und dann die Nato, die Vereinten Nationen?
Je mehr ich darüber nachdenke, umso mehr drängt sich mir
dabei die Frage auf, ob es überhaupt möglich ist, diesen dunklen Zug noch
aufzuhalten? Und macht es überhaupt Sinn, sich dem entgegen zu stellen?
Ich blicke in die
Vergangenheit. Wäre es einst möglich gewesen, z.B. die
Nationalsozialisten zu verhindern? Hätte
sich die sozialistische Revolution in Russland Anfang des 20. Jahrhunderts mit
all ihren Folgen vermeiden lassen? Hätten die Menschen Ende des 18.
Jahrhunderts in Frankreich etwas
unternehmen können, um das unendliche Blutvergießen der Französischen
Revolution zu umgehen und einen Wandel in friedlichen Bahnen zu gestalten?
Oder sind das einfach Kräfte, denen Gesellschaften
ausgesetzt sind, wie Gezeiten, denen am Ende des Tages nichts entgegen gesetzt
werden kann? Ist irgendwann ein Point of no return erreicht, an dem Hass, Wut
oder auch Angst, Verzweiflung sich derart aufgeladen und multipliziert haben,
dass mit Vernunft kein Durchkommen mehr ist? Und wenn, haben wir diesen Punkt
schon erreicht? Wurde er vielleicht in den Morgenstunden des 9. November
überschritten?
Engagement für den
Wiederaufbau?
Wäre es dann vielleicht das Klügste, gar keine Energie
darauf zu verschwenden, dagegen anzugehen, sondern vielmehr den Kopf unten zu
halten und zu versuchen, sich und Menschen, die einem nah sind, vor direkten
Folgen zu schützen? Sollte ich mich darum bemühen, jetzt Opfer zu unterstützen
– die Familien der in der Türkei inhaftierten Journalisten zum Beispiel? Und sollte ich dabei Anstrengungen unternehmen, mich
und möglichst viele andere für die Zeit danach vorzubereiten? Jetzt Menschen
vernetzen, Pläne und Ideen entwickeln, um die Gesellschaft zurück auf konstruktive
Wege zu bringen, wenn sich der Staub gelegt hat und die Welle an Nationalismus
und Totalitarismus wieder vorüber ist? In der Hoffnung, dass sie nicht die Mehrheit
der Menschen ins Verderben reißt?
Wäre es wichtig, dass ich – der ich mich Schriftsteller
nenne – zum Chronisten werde? Soll ich Zusammenhänge aufzeichnen, Belege
sammle, die wir dann parat haben, wenn
sich die Tore der Internierungslager wieder öffnen und alle Welt abermals
vorgibt, von nichts eine Ahnung gehabt zu haben?
Ich frage mich ernsthaft, ob wir jetzt das Leiden eventuell
nur verlängern, wenn wir uns dagegen stemmen? Wäre es möglicherweise besser zur
Seite zu treten, wie in dem Zeichentrickfilm, wo die Schweinchen die Türen des
Hauses vorne und hinten öffnen, so dass der böse Wolf, der angerannt kommt,
einfach quer hindurchläuft? So wie beim Autofahren, wo man, wenn man ins
Rutschen gerät, das Lenkrad auch kurz loslassen sollte, damit sich die Räder
frei ausrichten können und man dann wieder eingreifen und den Wagen zurück in
die Spur bringen kann?
Oder ist es doch richtiger, wenn ich mich auf die Suche nach
den Gleichgesinnten mache, um mit möglichst Vielen eine Kette der Vernunft zu
bilden? Eine Firewall gegen das Virus. Die das Schreien und Lärmen der
Demagogen dämmt, die jene Verachtung durchbricht, mit der mehr und mehr
Menschen Pluralismus und Demokratie gegenüberstehen, weil sie diese für schwach
und entbehrlich halten. Kann es gelingen, dass die Teile der Welt, die gerade
aus den Fugen zu geraten scheinen, ohne den ganz großen Kollaps zum fairen Wettbewerb
der Ideen zurückkehren? Und wenn, was kann, was soll ich dazu beitragen?
Ganz ehrlich: im
Augenblick weiß ich es nicht.
Ich weiß nur, ich muss mich entscheiden.
Und das bald.
Ich weiß nur, ich muss mich entscheiden.
Und das bald.
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