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Zwischenruf: Fürchtet Ihr Euch? Ihr fürchtet Euch nicht genug!

Seit vielen Wochen halten die populistischen Spitzenpolitiker in Deutschland, Österreich und anderen europäischen Ländern das Thema „Flüchtlinge“ in den Schlagzeilen. Während sie sich dabei mit immer neuen Ideen gegenseitig überbieten, wie man die Ungewollten fernhalten respektive schnellstmöglich wieder loswerden kann, ist darüber hinaus bislang nichts zu vernehmen. Ein Konzept den Ursachen der Armutsmigration entgegenzuwirken? Vorschläge, wie sich mittelfristig das gewaltige Wohlstandsgefälle mindern ließe? Gehört hat man davon noch nichts. Die Folgen? Leicht abzusehen. Aber wer weiß? Mit dem folgenden, offenen Brief an drei Verantwortungsträger möchte ich einmal nachfragen, wie die Geschichte weitergeht.

Sehr geehrter Herr Bundeskanzler Kurz,
sehr geehrter Herr Ministerpräsident Söder,
sehr geehrter Herr Innenminister Seehofer,


seit etlichen Wochen gelingt es Ihnen wieder einmal, das Thema „Flüchtlinge“ dauerhaft weit oben in allen Medien aufscheinen zu lassen. Mit dicken Schlagzeilen und stets prominent in Verbindung mit Ihren Namen.

Einmal ungeachtet dessen, ob man den von Ihnen propagierten Umgang mit Menschen gutheißt oder nicht; beiseite gelassen auch die Frage, ob Ihre Pläne mit geltendem Recht vereinbar wären, treibt den Verfasser dieser Zeilen eine ganz andere Frage um. Und diese Frage lautet:

Wie geht die Geschichte weiter?

Abweisen, Rückführen, Abschieben, Internieren, Grenzen sichern, kurzum: nicht hereinlassen. Soweit reichen Ihre Erzählungen. Schön und gut. Aber was dann? Sie müssten doch eine Vorstellung davon haben, wie das Ganze dann weitergeht.

Nehmen Sie wirklich an, dass sich das Thema Migration damit abhaken und erledigen lässt? Glauben Sie tatsächlich, dass die Menschen, denen Sie alternativlos zurufen „Zutritt nicht gestattet“ achselzuckend kehrtmachen, wie unsereins, wenn die Kinovorstellung bereits ausverkauft ist? Dass sie einfach so zurückkehren, in die Perspektivlosigkeit ihrer Herkunftsorte? Dorthin, wo sie zuvor sprichwörtlich Haus und Hof versetzten, um sich zumindest einen Hoffnungsschimmer auf ein besseres Leben zu erkaufen?

Setzen Sie allen Ernstes darauf, dass jene, die zurückgehen – befleckt mit dem Makel der Gescheiterten – denen daheim, die ebenfalls nach Europa wollen, zurufen „lasst es sein. Die wollen uns da halt nicht!“? Echt jetzt?

Natürlich glauben Sie das nicht. In Wahrheit wollen Sie ja auch gar nicht, dass der Zufluss an Flüchtenden und Perspektivsuchenden zu Erliegen kommt. Er ist schließlich Ihr Lebenselixier. Gäbe es das „Flüchtlingsthema“ nicht, wären Sie Herr Kurz nicht Kanzler geworden. Ohne die Migration hätten Sie Herr Seehofer und Herr Söder nichts, womit sie zumindest Ihre Hoffnung an den Erhalt der absoluten Mehrheit rechtfertigen könnten. Niemand zwischen Kabul und Köln, zwischen Kinshasa und Klagenfurt profitiert so deutlich und direkt von den Asylwerbenden wie Sie.

Aber wenn dem schon so ist, dann sollten Sie den Menschen doch den Fortgang der Geschichte nicht vorenthalten. „Klartext“ reden, wie es Ihre Parteien in dutzenden von Presseaussendungen so gerne ankündigen.

Klartext wäre erstens: es wird nicht aufhören!

Vollkommen unabhängig davon, ob der Krieg in Syrien morgen endet oder noch zehn Jahre weitergeht, gleichgültig, ob der Jemen eine iranische Provinz oder von saudischen Prinzen übernommen wird, egal ob in Afghanistan die Taliban oder eine demokratisch gewählte Version von Prinzessin Lea regiert: der Zustrom von Menschen aus Afrika und dem Nahen Osten wird nicht enden!

Das Wohlstandsgefälle ist einfach zu groß. Solange das durchschnittliche Monatseinkommen in Ghana oder Kenia bei rund 100 Euro, in Deutschland oder Österreich bei über 3.000 Euro liegt, solange der Kaufkraftindex in Mitteleuropa mehr als 40 mal so hoch ist, wie in Äthiopien und wir uns hierzulande mit unserer Arbeit zehn bis zwanzigmal mehr leisten können, als Menschen in Nigeria und immer noch fünfmal so viel wie jene in Tunesien oder Ägypten, solange die Lebenserwartung bei uns 20 Jahre höher ist, als in Eritrea und seinen Nachbarländern, solange die Alphabetisierung in Niger oder Ruanda noch immer weit unter 50% liegt, solange die Industriestaaten immer weiter mit Vollgas auf der Überholspur unterwegs sind und solange die Menschen in den Ländern des hinteren Wohlstandsdrittels der Welt nicht zumindest eine berechtigte Hoffnung auf Anschluss haben, solange wird der Anreiz einfach zu groß sein, der Traum vom besseren Leben in Europa zu mächtig, als dass sich die Menschen nicht zu uns aufmachen würden.

Ganz gleich, wie unfreundlich wir sie begrüßen und wie oft wir sie wieder zurückschicken werden.

Klartext wäre zweitens: es wird nicht friedlicher werden!

Quizfrage: was glauben Sie, wo wird sich ein junger Mann, der von seiner Familie losgeschickt wurde, eine neue, lebenswerte Zukunft für sich und seine Nachkommen aufzubauen, eher radikalisieren wird? In einer mittelgroßen Gemeinde in Nordrhein Westphalen oder in der Steiermark, wo er mit einem Dutzend anderer Einwanderer geschult wird, um in absehbarer Zeit mit ehrlicher Arbeit den Traum vom ordentlichen Leben näher zu kommen, oder in einem Flüchtlingscamp im Libanon, umgeben von ungezählten, gleichermaßen Abgewiesenen, ohne Beschäftigung und stets in Sichtweite von unkontrollierten Waffen aller Arten?

Sicher, es gibt Hetzermoscheen in Deutschland, in Österreich, wahrscheinlich sogar in der Schweiz. Aber die Hoffnungslosen Millionen in den Lagern in der Türkei oder in Jordanien müssen sich gar nicht erst in Moscheen verstecken, um sich gegenseitig aufzuhetzen. Dort gehört das zum Smalltalk auf den verdreckten Wegen zwischen den Baracken und zerschlissenen Zelten in denen die kochende Hitze steht. Wo also sind wohl die gefährlichen Gärzellen für Gewalt und Extremismus?

Fürchtet Ihr Euch? Ihr fürchtet Euch noch nicht genug!

Die „besorgten Bürger“ sind der Kern ihrer wachsenden Wählerschaft. Sie sorgen sich um ihre Jobs, ihren Wohlstand, ihre Sicherheit. Zum Klartext würde gehören, ihnen zu sagen, dass sie sich vor den Falschen fürchten. Diejenigen, die jetzt kommen und um Unterstützung ansuchen – berechtigt, oder auch nicht – sind kaum eine Gefahr. Aber sie werden nicht ewig mit dem Asylantrag in der Hand vor den Grenzen Europas stehen. Und wie werden auch nicht wieder heimgehen. Irgendwann werden sie zu den Waffen greifen, an deren weltweiter Verbreitung wir so lange so gut verdient haben.
„Buh“ zu rufen, und sei es noch so grimmig, wird niemanden abhalten, es nicht wieder und wieder zu versuchen, für sich und seine Kinder ein Stück des Wohlsandes zu ergattern, den sich die sogenannte Entwickelte Welt seit der Kolonialzeit unter den Nagel gerissen hat.

Noch kommen die Menschen freundlich, glauben, dass die Deutschen, die Österreicher, die Italiener und Skandinavier, ja alle Europäer, tolle und hilfsbereite Typen sind. Sie, Herr Kurz, Herr Söder, Herr Seehofer, Sie und die Ihren unternehmen gerade alles, um das möglichst schnell zu ändern. Je effektiver Ihnen das gelingt, umso leichter wird es jenen, die nichts zu verlieren haben, schließlich fallen, den Trigger zu betätigen. Und wenn es einmal soweit ist, wenn sich die Menschen nicht mehr brav in die Schlangen am Brenner oder in Spielberg anstellen, sondern wenn sie beginnen, tatsächlich einzufallen, dann werden sie sich nicht mehr mit Brosamen begnügen. Während wir jetzt nur ein wenig von unserem Überfluss teilen müssten, um Druck aus dem Kessel zu nehmen, um langfristig das Wohlstandsgefälle abzubauen und die Menschen dabei zu unterstützen, Zukunftsperspektiven in ihren Heimatländern zu schaffen, die sie übrigens nicht weniger lieben, wie wir die unseren, werden wir auf dem Weg, den Sie einschlagen, am Ende so ziemlich alles verlieren.

Das wäre Klartext.

Aber vielleicht ist das ja alles Unsinn. Vielleicht kennen Sie ja eine andere Version, wie die Erzählung weitergeht. Vielleicht haben Sie ja doch einen Plan, der nicht mit der Errichtung von Internierungslagern auf fremdem Staatsgebiet endet sondern weiter reicht und nicht zwangsläufig auf eine Festung Europa mit Schießbefehl an den Außengrenzen hinausläuft.

Obwohl der Autor dieser Zeilen unter anderem Krimiautor ist, steht er unheimlich auf Happy Ends. Er wäre also, mitsamt seiner Leserschaft, brennend daran interessiert, Ihre Geschichte zu hören. Bitte teilen Sie sie mit uns. Sagen Sie uns, wie es weitergeht.

Hochachtungsvoll,

Daniel Carinsson

PS: Um sich das Ende Ihres Weges, wie er sich logisch entwickeln wird, vorstellen zu können, braucht es übrigens nicht einmal viel Fantasie. Er wurde bereits sehr erfolgreich verfilmt. Schauen Sie sich einfach den vierten Teil von „the Hungergames“ an und stellen Sie sich die Bewohner von Panem mit ein wenig dunklerer Hautfarbe vor. Denn so viel ist klar, niemand von uns ist Katniss Everdeen oder Peeta Mellark! Wir alle sind Präsident Snow.

Am 25.6.2018 gesendet an
Bundeskanzler Sebastian Kurz (via post@bka.gv.at und an @sebastiankurz)

Ministerpräsident Markus Söder (via direkt@bayern.de und an @Markus_Soeder)
Bundesinnenminister Horst Seehofer (via poststelle@bmi.bund.de, landesleitung@csu-bayern.de und an @csu)

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