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Leseprobe: "Bei Adrian" & "Unterwegs"

Bei Adrian

Noch bevor Adrian Topolescu, von den meisten Ady genannt, das Licht in dem dunklen, fensterlosen Eingangskorridor einschalten konnte, stolperte er über einen harten Gegenstand.

„Au, fuck!“ Adrian fluchte gerne auf Englisch. Er hatte sich das angewöhnt, seit er häufiger Zeit im Internet verbrachte und mit Gleichgesinnten in der ganzen Welt Nachrichten und Pläne auszutauschen. Natürlich auf Englisch. Und da es meist schlechte Nachrichten waren, die es zu verbreiten oder zu kommentieren galt, gab es dabei reichlich Anlässe zum Fluchen.

Der schlanke, hochaufgewachsene Rom, der mit seinen streng getrimmten schwarzen Locken und der dunkel gerandeten Brille jederzeit auch als indischer Computerprogrammierer durchgehen könnte, rieb sich den Fuß und humpelte zum Lichtschalter. Die milchig getrübte Kellerlampe, die in der Mitte des schmalen Ganges an der Decke angebracht war, erhellte den Eingangsbereich nur unwesentlich. Genug jedoch, um Arian erkennen zu lassen, dass er über das alte, massiv hölzerne Garderobenkästchen gestolpert war, das mit der Frontseite nach unten auf den Fußboden gestürzt war. Der junge Mann kniff die Augen zusammen. Ein indifferentes, jedenfalls aber wenig angenehmes Gefühl machte sich in seinem Magen breit.

Um ein wenig mehr Licht zu bekommen, schob er den dicken, staubigen Samtvorhang beiseite, der den rückwärtigen Eingangskorridor von seinem kleinen Wohnraum trennte, der im Souterrain des kleinen Häuschens seines Vaters lag und zu dem er durch eben jenen Gang einen eigenen, separaten Zugang hatte. Adrian erstarrte.

Aus weit aufgerissenen Augen sah er ungläubig in das Zimmer. Von der Schlafcouch am einen Ende, über den niedrigen Wohnzimmertisch und die Sitzhocker bis zu der schmalen Kochnische am hinteren Ende ließ er den Blick hektisch hin und her schweifen und es dauerte eine ganze Weile, bis er das, was er vor sich sah, wirklich realisieren konnte.

Jedes einzelne Stück Besteck aus den Küchenfächern, jeder Bleistift und jedes Blatt Papier von seinem Schreibtisch, jedes Foto, jedes Buch und jedes Kleiderstück, alle Vorhänge, alle Sitzkissen, alle Pflanzen, Teller, Gläser, Aschenbecher, Zigaretten, einfach alles, was er besaß, schien aus seinem angestammten Platz herausgerissen und willkürlich über den gesamten Raum verteilt worden zu sein. Vieles, nein eigentlich das meiste davon, war zerrissen, zerknittert, zerbrochen, aufgerissen, aufgeschnitten, in irgendeiner Art zerstört.

Vorsichtig, als beträte er ein Minenfeld, machte er einige, wenige Schritte in den Raum hinein. Seine Hände, sein ganzer Körper zitterten. Seine Füße versuchten Trittflächen zu ertasten, auf denen nicht irgendein Utensil, nicht irgendeine seiner herumliegenden Habseligkeiten lag. Plötzlich durchzuckte ihn ein Adrenalinstoß. Der Lap-Top, seine Daten....

Unterwegs

Mirijams Blick flog über frisch gepflügte Felder, die sich bis zum Horizont zogen, über Wiesen, die mal frühlingshaft in saftigem Hellgrün, mal herbstlich in erdig trockenen Brauntönen leuchteten. Sie betrachtete Pappelhaine, in deren bereits blattlosen Ästen sich so viele Misteln angesiedelt hatten, dass die Bäume Lagerstätten für riesige Wollknäuel glichen. Druiden müssten hier glückliche Menschen gewesen sein, dachte sie.

Manchmal tauchten Pferde in der Ferne auf, des Öfteren fuhren sie an Schafs- einige Male auch an Schweinekoppeln vorbei.

Die Ortschaften, durch die sie kamen, bestanden zum größten Teil aus lang gezogenen, niedrigen Häusern, die sich links und recht entlang der Hauptstraße in kleinere und größere Gärtchen duckten. Etliche von ihnen in auffällig bunten, teilweise ein wenig übertrieben leuchtenden Farben gestrichen, die meisten jedoch in changierenden Grautönen, die sich seit mehreren Jahrzehnten nicht geändert haben dürften.

Die Orte schienen zumeist nur aus der einen Durchfahrtsstraße zu bestehen und wenigen kleinere Stichsträßchen, die zu den Häusern in der zweiten Reihe führten. Dahinter lag zumeist gleich wieder ein Stück Wald oder ein Bach oder – was meistens der Fall war - es begannen erneut die langen, offenen Felder.

Eine Kirche stand in der Mitte jeder noch so kleinen Ortschaft. Ein paar von ihnen aus großen, mächtigen Steinquadern gebaut, tief und breit in die sie umgebenden Häuserzeilen gekauert. Andere erhoben sich schlank und aufstrebend, so dass sie über die flachen Wiesen hinweg schon von weitem auszumachen waren. Mirijam sah Kirchen, zur Gänze aus Holz gezimmert und dann wieder schlichte Betonbauten, die sich häufig nur durch ein hohes, graues, ebenfalls aus Beton gegossenes Gerüst mit einer Uhr ganz oben oder mit einer Aufreihung von Glocken als Kirche zu erkennen gaben.

Hinter Szekeszerharvar war das Land zunächst sehr flach und eben geworden und im abnehmenden Sonnelicht war der ferne Horizont manchmal kaum noch vom Himmel zu unterscheiden. Nun, da sie sich der alten Universitätsstadt Pecs näherten, wurde es hügeliger und schon bald zogen sich an allen Seiten endlose Reihen von Rebstöcken die sanften Hänge entlang.

Dicht an dicht rankten sich die ausgewachsenen Triebe dieses Jahres, deren Blätter sich zum großen Teil bereits tiefrot gefärbt hatten. In den letzten Strahlen der untergehenden Sonne flackerte so ein Farbenmeer von dunklem Grün bis zu weit leuchtendem Orange und dazwischen prangten mächtige, schwere Kaskaden aus dunklen und hellen Rauben, die geradezu darauf zu warten schienen, geerntet zu werden, um mit einem neuen Jahrgang sonnenverwöhnter Weine erneut zum Reichtum der Region beizutragen.

Andreasz, der Bassist, war kurz nach ihrer Abfahrt aus Szekeszerharvar und nach ein wenig Smalltalk über diesen oder jenen Musiker oder über die verschiedenen Stationen ihrer bevorstehenden Reise auf der zweiten Rückbank in tiefem Schlaf versunken....

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