Eine kurze Geschichte der Popkultur
Kaum ein Teenager gerät heute
noch wegen seines Musikgeschmacks mit seinen Eltern überquer, denn seit Anfang
des Jahrtausends ist die Entwicklung der Popmusik nahezu zum Stillstand
gekommen. Es gibt keine neuen Genres mehr, die 2010er sind bereits das zweite
Jahrzehnt, das keinen eigenen Sound mehr hervorbringt. Ein Folge der
Gratiskultur im Internet, behaupte ich mal, selbst Musiker, Musikproduzent,
ehemaliger Labelinhaber und Schriftsteller. Denn wenn den Plattenfirmen die
Umsätze weg brechen und das Geld ausgeht, wird alles gestrichen, was nicht
bereits schon Erfolg hatte. No risk no fun. Und so könnte mittelfristig auch die Freude am Entertainment verloren
gehen. Selbst wenn es umsonst ist.
Seit nunmehr
geraumer Zeit steht ein Thema im Rampenlicht, mit dem sich zuvor wohl nur eine
Minderheit überhaupt je beschäftigt hat. Das Urheberrecht – meist synonym für
die gesamte Wertschöpfungskette der Kultur- und Unterhaltungsbranche verwendet
– ist zum Zankapfel geworden und spaltet Diskussionsforen, Stammtische, Medien
und nicht zuletzt die Politik in zwei Lager. Jene, die auf den nicht nur freien
sondern auch kostenlosen Austausch von Daten und Inhalten über das Internet
pochen und jene, die Arbeiten, die zur Herstellung eines Produktes notwendig
sind, gerne bezahlt bekommen hätten, auch dann, wenn das Produkt nicht aus
Holz, Stahl oder Kunststoff besteht, sondern digital und damit in leicht
kopierbarer Form vorliegt.
Viele Emotionen sind
im Spiel, Fakten und Zahlen tauchen nur selten auf, was vor allem daran liegt,
dass sich irgendwie viele betroffen fühlen, aber nur wenige wirklich wissen,
worüber sie reden. Urheberrecht, Verwertungsrecht, Leistungsschutzrecht, Filesharer,
Up- und Download, es ist ja auch zu verwirrend.
Noch seltener wird
jedoch über Konsequenzen und Folgen gesprochen oder überhaupt nachgedacht, was hiermit
nun einmal getan werden soll.
Wie ein Stück Popkultur entsteht
Wer sich Gedanken
über die Auswirkungen der kostenlosen Verbreitung von Musik, Filmen und
Literatur durch digitales copy&paste machen will, braucht nicht allzu viel
Fantasie. Im Bereich der Popmusik, der als erster von den neunen Möglichkeiten
überrollt wurde, sind diese schon sehr gut zu beobachten. Wer aber die Folgen
ergründen will, sollte zunächst reflektieren, wie ein Stück Popkultur, im
Musikbereich, also ein neues Genre entsteht.
Natürlich, wer an
Rock n’ Roll denkt, hat Bill Haley oder Elvis Presley im Sinn, das Beat-Zeitalter
läuteten - logisch - die Beatles ein, Flower Power die Mamas and Papas, Soul
wurde mit Aretha Franklin groß und Grunge wäre ohne Nirvana genauso wenig zu
einem Massenphänomen geworden wir Punk ohne die Sex Pistols. Natürlich.
Natürlich gebührt
all den Genannten und vielen anderen der Respekt vor ihrer künstlerischen und
kreativen Leistung, sie haben fraglos jeweils ihre Jahrzehnte und viele
musikalische Erben geprägt, sie alle eint jedoch auch, dass sie niemals über
den Dunstkreis ihrer Proberäume hinausgekommen wären, hätte es nicht
Unternehmen gegeben, Plattenfirmen und Musikverlage, die in diese Künstler
investiert hätten. Die sie aufgebauten, ihre Plattenproduktionen finanziert,
das Marketing, die Garderobe, die Fotografen bis zum Artwork für die
Plattenhüllen.
Try and Error Business
Im Kulturbetrieb
auch und ganz besonders in der populären Kultur spricht man nicht gerne von
Investments. Man redet lieber von Entdeckern, das klingt mehr nach Leidenschaft
und weniger nach Geschäft. Und dennoch wissen alle Beteiligten, dass aus einer
originellen Idee nur dann ein Hit, ein Trend, eine Welle, eine Bewegung oder
eben gar ein eigenes Genre wird, wenn es sich am Ende des Tages rechnet. Wenn
sich das Investment gelohnt hat. Und wenn das Investment groß genug war, um mit
der Idee die Massen zu erreichen.
Das Dumme am
Musikgeschäft, ebenso wie in der Belletristik oder dem Filmbusiness, ist, dass
niemand genau vorhersagen kann, was ein Hit wird, ein Bestseller oder ein
Blockbuster. Zwar gibt es Talente mit einem besonders guten Riecher, und mit
genug Marketinggeld lässt sich auch einiges erreichen, aber sicher sein kann
man eben nie.
Und so ist das
Popkulturgeschäft schon immer ein Try and Error Business gewesen. 10 Flops, ein
Hit, wenn es gut läuft. Und der Hit muss die anderen mitfinanzieren, der
Beststeller muss das Geld für die Talentförderung bringen, sonst funktioniert
das ganze Spiel nicht.
Rationalisieren und Synergien heben
Was aber geschieht,
wenn die Umsätze sinken, wenn die Margen schwinden und die Rendite ausbleibt?
In der Welt des Entertainment nichts anderes, als im Baugewerbe, in der
Autobranche oder bei Halbleiterproduzenten: es wird gespart, Risiken werden
minimiert, es wird Rationalisiert und Synergien werden gehoben. Mit anderen
Worten, man holt aus dem, was man hat, das Maximale heraus und setzt auf
Bewährtes. Nur keine Experimente.
Die Hits der 80er, der 90er und von Heute
Und genau das ist
seit gut anderthalb Jahrzehnten in der Popmusikbranche geschehen. Das Resultat
lässt sich mit dem Einschalten des Radios leicht überprüfen. Etwa seit der
Jahrtausendwende gibt es keine neue Musikrichtung mehr. Erstmals, seit
Erfindung des Grammophons. Die Jugend der Nuller und der 2010er Jahre sind die
erste Generation Teens und Twens, die sich über keine eigene Stilrichtung mehr
definieren können. Nichts, was sie heute im Radio, in Clubs, auf Konzerten oder
auf Festivals hören, haben ihre Eltern nicht auch schon gekannt. Der klassische
Spruch der alten Herrschaften „das ist doch nur Krach und keine Musik sein!“
dürfte bald schon so gut wie ausgestorben sein.
Der Claim vieler
sogenannter Hitradios, wie des österreichischen Marktführers Ö3 beispielsweise,
lautet „Wir spielen die Hits der 80er, der 90er und von Heute“. Gleich doppelt
zeigt sich darin das Malheur. Zum einen sind die 00er-Jahre offenkundig
musikalisch so unbedeutend, dass sie in diesem Wiedererkennungstext einfach
weggelassen werden können, ohne, dass es überhaupt jemandem auffällt. Und
zweitens hat es das noch niemals zuvor gegeben, dass ein „Hitradio“ Hits aus
gleich vier Jahrzehnten präsentiert, und damit sein Publikum erreicht.
Man stelle sich das
Jahr 1983 vor. Bayern 3, „Pop nach Acht“, die Geburtsstunden von Thommy
Gottschalk und Fritz Egner, das Jahr in dem Michael Jackson den Moonwalk
erfand, als die Eurythmics neue Maßstäbe setzten und die Neue Deutsche Welle
begann das Land zu überrollen. „Wir spielen die Hits der 50er, 60er und von
Heute“? Niemand könnte sich vorstellen, diesen Satz damals von Thomas
Gottschalk im Ernst je gehört zu haben. Chubby Checker und Peter Kraus in einer
Sendung mit Nena und Depeche Mode? Niemals.
Wohl gab es Chubby
Checker auf Bayern 3 im Jahr 1983. Sonntagabends von 9 bis 10 Uhr in einer
Sendung namens „Goldtimer“.
Sven Regener von Element
of Crime hat es in seiner mittlerweile Kult gewordenen Wutrede in einem
Nebensatz erwähnt. Es gibt keine endemische Musik mehr. Und das nicht, weil der
Jugend nichts mehr einfiele oder weil alte, bösartige Säcke in den
Musikredaktionen der Radiosender Neues zu verhindern wüssten, sondern schlicht,
weil den Plattenfirmen das Geld fehlt, um Neues zu wagen. Sie können es sich
nicht mehr leisten, Flops zu riskieren, um unter zig Versuchen ein neues Juwel
zu entdecken. Und so wird in schier endlosen Schleifen alles schon Dagewesene
neu aufgegossen und, wenn überhaupt, mit ein paar Ergänzungen in der
Bezeichnung als neue Stilrichtung verkauft, in der Hoffnung, dass es möglichst
niemandem auffällt. Vielleicht hat man Glück und die Sechzehnjährigen, die
heute Green Day zujubeln erfahren gar nicht, dass es Punk schon in den 70ern
gegeben hat und dass der damals viel härter, viel dreckiger und vor allem viel
sexier war.
Das
Durchschnittsalter der Headliner beim diesjährigen Rock am Ring Festival
beträgt 44,2 Jahre, wobei Linkin Park mit einem Alterschnitt von knapp 35 noch
die „Küken“ sind, die anderen gehen alle stramm auf die 50 zu. Jugendkultur im
Jahr 21 des Internets.
Der endlose Fluch der Karibik
Aber auch in den
anderen Branchen, bei Film und Belletristik sind die Folgen der schrumpfenden
Ressourcen bereits zu erkennen. In regelmäßigen Abständen beklagt das Feuilleton
seit ein paar Jahren – zur Recht – dass „Hollywood im Sequel-Wahn“
(Spiegel-Online 11.7.2011) sei. Acht Harry Potter Filme, fünf mal Fast &
Furious, vier Flüche der Karibik, die Aufzählung könnte endlos sein. Aber der
Grund dafür ist keine kreative Krise der Drehbuchautoren, sondern die schlichte
Rationalisierung, der Zwang erstens erfolgreich und zweitens kosteneffektiv zu
sein. Wer einen Titel, eine Story, ein Schauspielerensemble nicht neu
vermarkten und bekannt machen muss, spart schon
immens beim Marketing, außerdem muss kein neues Design bezahlt,
Studio-Sets können wiederverwertet oder – wie bei Herr der Ringe 2 und 3 oder
den selbigen Nummern von Matrix – gleich mehrere Filme auf einmal gedreht
werden.
Was der
Autoindustrie die Modellplattformen sind auf denen dann VW-Passate, Skoda-Octavias
oder Seat Leons in verschiedensten Variationen günstig fabriziert werden
können, das sind Hollywood die Franchise-Serien.
Und selbst in die
Buchgeschäfte, die bislang noch am wenigsten von der unbezahlten digitalen
Verbreitung Ihrer Waren betroffen sind, kann man die Anzeichen beim Gang durch
die Regale erkennen. Zuweilen hat man das Gefühl, dass jemand fertige
Grafikvorlagen für Buch-Cover an Verlage verkauft, die – je nach Genre - alle
aussehen, wie das Titelbild von „PS: ich lieb Dich“ oder Variationen von Dan
Browns „Illuminati“. Hat ein Buch einmal erfolg, wird versucht allein schon
durch Artwork und Titelgebung, das Meistmögliche mit der „me to“-Methode
herauszuholen.
Die kurze Geschichte der Popkultur
Also das stimmt so nicht ganz.Plattenfirmen (jedenfalls die grossen) haben noch nie gerne was riskiert ,sondern waren eigentlich immer nur an Verkaufszahlen interessiert.
AntwortenLöschenDie sind dann immer erst auf den fahrenden Zug aufgesprungen und haben alles soweit kommerziallisiert bis es keiner mehr hören konnte.
Also Metallica in den frühen 80igern ihr erstes Demotape aufnahmen , verbreitete es sich nur durch Fans und Mundpropaganda und das wie ein Lauffeuer (Weltweit) bevor auch nur eine Plattenfirma bemerkte das da was neues kam.
Und genauso war es in den 90igern mit dem Techno.
Die neuen Generes wurden immer aus einer Subjugendkultur herausgeboren in der man experimentierfreudig war und sich nie damit abgefunden hätte die Musik seiner Eltern zu hören.
Zugegeben ein Kurt Kobain wird nicht jeden Tag geboren aber gerade heute wo man soviele Möglichkeiten hat neue Musik zu kreieren und sie dann auch noch selbst zu Veröffentlichen und das ganz ohne Plattenfirma muss sich meiner Meinung nach die junge Generation schon den Vorwurf gefallen lassen das sie Unkreativ und angepasst sind.
Auf die Frage "Was hörst du denn für Mucke?" wurde in den 80iger fundiert mit Stilrichtung und Bandnamen geantwortet.
Heute lautet die Antwort in 99% aller Fälle schlicht und einfach "Ich höre alles".
Belangloser geht's nicht!