Es gibt zwei Szenen bewegter Bilder, die mich in meiner
Kindheit sehr geprägt haben und die großen Anteil daran hatten, dass ich das
geworden bin, was ich geworden bin: Musiker, Tontechniker, Produzent, Autor,
Künstler.
Die eine Szene stammt – ja, doch tatsächlich – aus einem
Zeichentrickfilm, einer frühen Episode des „Popeye“ Comics. In dieser Folge
waren die drei Neffen des Spinat liebenden Seemanns, gerade eifrig dabei mit
ihren Instrumenten zu üben, bis Popeye erklärt „Feierabend, jetzt wird
geankert“ und sie zur Bettruhe nötigt. Viel zu früh, wie die Jugend
selbstverständlich befindet. Und so holen sie, kaum dass der Senior das
Kinderzimmer verlassen hat, flugs ihre Instrumente wieder hervor und jammen
inbrünstig weiter. Und jedes Mal, wenn ihr Onkel erzürnt wieder den Kopf ins
Zimmer steckt, springen sie in die Federn uns stellen sich schlafend. Das Spiel
geht ein paar mal gut, dann reißt Popeye der Geduldsfaden und er sammelt
kurzerhand alle Instrumente ein und nimmt sie mit ins Wohnzimmer, wo er sie
sicher verstaut.
Nun herrscht erst mal Frust bei den Rackern. Enttäuscht
liegen sie in ihrem Zimmer herum und blasen Trübsal. Einer von ihnen spielt
gelangweilt am Darm des Kinderflitzebogens – boing – ein anderer spielt lustlos
an einer herausgesprungene Feder des Bettes – doing.
Sie wechseln vielsagende Blicke. Plötzlich sind sie wieder
hellwach. Boing, doing, doing! Boing, doing, doing. Schon hat der Dritte die
Heizung als Schlaginstrument entdeckt. Es dauert nur Momente und im Nu haben
die drei aus Keksdosen, holen Gardinenstangen und sonstigen Utensilien, die
gerade so herumliegen die reinste Bigband zusammengestellt.
Und Popeye? Der muss nach kurzer Zeit kapitulieren, denn er
findet ja keine Instrumente mehr, die er wegschließen könnte. Die kunstvoll
kreierten Ersatztonerzeuger erkennt er bei seinen erneuten Blitzvisiten
natürlich nicht. So bleibt ihm nur die Flucht unters Kopfkissen, während die
Juniorshow triumphiert.
Mich hat das damals enorm beeindruckt. Genau das wollte ich
auch machen. Musik erzeugen, wo zuvor keine war. Aus dem, was ich finde, neues
erschaffen.
Die zweite Szene stammt aus einem Jerry Lewis Film – die
geneigte Leserschaft erkennt nun auch gleich, den tragenden Einfluss der
Hochkultur auf meine Kindheit – dessen Titel mir inzwischen ebenso entfallen
ist, wie die eigentliche Handlung. Nicht jedoch jener grandiose Augenblick
einer Verwandlung. Aus mit nicht mehr bekannten Gründen befindet sich Jerry in
einer Art Putzkammer und er muss – auch dafür weiß ich die Ursache nicht mehr –
ganz dringend irgendwo einen ganz besonders eleganten Eindruck hinterlassen.
Ist aber aktuell eher mäßig gekleidet und vollkommen abgebrannt. In dieser
Kammer jedoch findet er alles, was er braucht. Schwarze Farbe, mit der er seine
Schuhe veredelt und aus einem Besen einen noblen Spazierstock macht.
Materialien, die er zu einem Zylinder formt und Stoffreste, die er als
Frackschwänze an sein ebenfalls umgefärbtes Jackett heftet.
Das Ganze musikalisch beschwingt unterlegt und – simsalabim
– fertig ist der Gentleman in Vollendung.
Hollywood natürlich. Und doch enorm inspirierend und eine
fabelhafte Metapher auf das Wesen der Kreativität. Die nämlich immer dann am
stärksten ist, wenn sie einem Mangel gegenübersteht.
In der aktuellen Debatte um Rechte und Verwertung von
kreativen Produkten im Internet heißt es häufig, dass diese Produkte auch
deshalb frei respektive kostenlos in den digitalen Medien verfügbar sein sollen,
um das kreative Potential der „User“, als aller Verbraucher nicht zu
beschränken und zu fördern.
Nun bin ich als überzeugter Marktwirtschaftler ganz sicher
der Letzte, der einem künstlich erzeugten Mangel das Wort redet. Wobei es
natürlich vermessen ist, bei 12 Millionen jederzeit verfügbarer Buch- und über
5 Millionen Musikproduktionstitel allein auf Amazon von einem Mangel zu reden.
Jedoch frage ich mich, und das soll weder polemisch noch
verletzend gemeint sein, wo denn eigentlich die Resultate dieser Kreativität zu
finden sind. Ich habe mich unlängst an einem verregneten Feiertag mehrere
Stunden kreuz und quer durch die verschiedensten Portale geklickt, das
Kreativste, auf das ich dabei gestoßen bin, waren noch diverse Videospielszenen
die – immerhin sehr ordentlich im Rhythmus – auf Titel von Nightwish, Marilyn
Manson oder den Soundtrack von Herr der Ringe geschnitten waren.
Ist das die „User-Kunst“, um derentwillen Musiker,
Tontechniker, Lektoren, Verleger, Grafiker usw, auf Ihre Existenz verzichten
sollen?
Ich glaube Kreativität – im Großen, wie im Kleinen, im
Professionellen wie im Privaten braucht vieles: Freiräume, Übungsräume,
Anerkennung, Zeit zur Reife, Platz zur Entfaltung, Flächen zur Präsentation,
Kritik, Zuspruch, in vielen Fällen auch finanziellen Anschub. Aber eins – und
davon bin ich auch aus eigener Erfahrung zutiefst überzeugt – braucht
Kreativität ganz sicher nicht, hat sie noch nie gebraucht, wird sie nie
brauchen: einen kostenlosen, allzeit und überall verfügbaren Setzkasten vorgefertigter
Systembausteine.
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