Hillary Clinton hat heute Geschichte geschrieben. Sie ist die erste
Frau, der es gelungen ist, in einer der beiden großen Parteien die Kandidatur für
das mächtigste Amt der Welt zu erringen. Sie kann die erste Frau an der Spitze der
Vereinigten Staaten werden, was kaum weniger ein Meilenstein in der Geschichte
der USA – und der Welt – wäre, wie die Präsidentschaft des ersten afroamerikanischen
Mannes auf diesem Posten. Und dennoch, so richtig zu freuen scheint das
niemand. Jedenfalls nicht öffentlich.
Fakten schaffen
„Die Stimmung auf der Siegesfeier“, schreibt Marc Pitzke aufSpiegel.Online, „ist getrübt“. Zwar schreibt er auch, „Die historische
Bedeutung schmälerte das freilich kaum“, aber es klingt pflichtschuldig und
bemüht, wenn er anschließend die Zahl der Hausbesuche und Auftritte anführt, so
als sei die „historische Bedeutung“ eigentlich eher der Statistik geschuldet. Vor
allem aber stellt er doch fest: „Sie ist die unbeliebteste Kandidatin seit
Langem“ und das hat man in letzter Zeit immer wieder gelesen. Eigentlich fast
immer, wenn der Name Hillary Clinton erwähnt wird. „Die Kandidatin, die keinerwill“ titelt Zeit.de, „Die zwei unbeliebten Kandidaten“ schreibt dieFrankfurter Rundschau im Netz.
Die Liste ließe sich fortsetzen.
Die Liste ließe sich fortsetzen.
Fakten schaffen
Interessanterweise folgen auf diese Feststellungen so gut wie nie
Belege für die vermeintliche Unbeliebtheit der ehemaligen Außenministerin und
First Lady. Etwa durch Umfragen. Und wenn, dann klingen sie so konstruiert, wie
jene in besagtem Zeit.de-Artikel von Andrea Römmle, die auf jüngste Umfragen verweist, laut
denen nur 19% der Amerikaner Vertrauen in die Regierung und in die Politische
Klasse hätten. Da sich dies auch mit den „persönlichen Wahlkampferfahrungen“
der Journalistin decke, müsse die Gleichung - Clinton = Politikerin = unbeliebt -
ja wohl richtig sein. Sehr fundiert.
Das eigentlich Erstaunliche ist aber: vor wenigen Jahren war das noch anders.
Im April 2010 titelte Die Welt online „Hillary Clinton beliebter als Angela Merkel“ und untermauerte dies sogleich mit einer „Umfrage des
Marktforschungsunternehmens Harris Interactive", die zeigte, „dass Hillary
Clinton Angela Merkel als beliebteste Politikerin überholt hat“. Drei Jahre
später, im Februar 2013 fragte Sebastian Fischer auf Spiegel-Online „geht das
überhaupt, amerikanische Politik ohne Hillary?“ und geradezu euphorisch
beschrieb er, dass Clinton „sich über die vergangenen vier Jahre zur
sympathischen und coolen Person entwickelt“ habe. Auch er hatte, ganz im Unterschied
zu den Berichterstattern heute, belegte Zahlen zum Beweis für die Beliebtheit
der scheidenden Ministerin parat. Und was für welche: „Einer Umfrage der ‚Washington
Post‘ zufolge mögen sie 67 Prozent der Amerikaner. Schon wieder ein Rekordwert.
Hillary ist die beliebteste Politikerin in den USA. Unter den Demokraten kommt
sie auf 91 Prozent, bei den Unabhängigen auf 65 Prozent und sogar bei den
Republikanern auf 37 Prozent. Vor einiger Zeit fanden die Demoskopen gar
heraus, dass 44 Prozent der radikalkonservativen Tea-Party-Anhänger glauben,
das Land stünde besser da mit einer Präsidenten Clinton.“
Was ist geschehen?
Als aufmerksamer Beobachter fragt man sich da doch zwangsläufig: was
ist inzwischen passiert? Die erstaunliche Antwort: nichts! Hillary Clinton hat
eine Auszeit genommen und sich zwei Jahre Zeit gelassen, um für sich und ihre Familie zu
entscheiden, ob sie noch mal ins Rennen geht, hat natürlich Kontakte und
Chancen ausgelotet, dann hat sie sich als Kandidaten zurückgemeldet. Und in der
Zwischenzeit wurde in den Medien – den deutschsprachigen und europäischen jedenfalls
– beschlossen, sie sei unbeliebt. Unbelegt zwar, aber auch unwidersprochen. Die
Frage bleibt nur: warum?
Wegen der E-Mail-Affäre? Es ist das Einzige, das gebetsmühlenartig als
Verfehlung und Ursache für Ihren Vertrauensverlust ins Feld geführt wird. Ist
das glaubhaft? Macht das Sinn? In einer Zeit, in der allenthalben von der
Frustration alle Völker über das Establishment geredet und vor allem geschrieben
wird? In einer Zeit in der von Trump bis Sanders Kandidaten Millionen von
Stimmen bekommen, weil sie sich als Regelbrecher stilisieren, soll ausgerechnet
das Übertreten einer Verwaltungsvorschrift die Meinung der Menschen derart
geändert haben, dass aus der eben noch beliebtesten Politikerin eine Persona
gerade-noch-so Grata geworden ist? Wofür es, wie zuvor erwähnt, keinerlei
stich- oder zahlenhaltige Belege gibt. Von der Tatsache, dass diese „Unbeliebte“
Vertreterin des verhassten Establishments im ach so liberalen Kalifornien gerade gut 60% der Vorwahlstimmen geholt hat.
Man(n) mag sie eben nicht
Es mag eine gleichermaßen unbewiesene Unterstellung sein, aber hier auf
meinem Blog darf ich das, für mich klingen all die bärbeißigen Kommentare sehr
danach, dass es in den nach wie vor männerdominierten Redaktionen doch immer
noch bitter aufstößt, dass nun auch eine der wirklich letzten großen Bastionen
der Mannesherrschaft von einer Frau übernommen werden könnte. Offen dagegen
sein, geht im 21. Jahrhundert natürlich nicht mehr, und so grummeln die Herren
Journalisten, Kommentatoren und Publizisten eben zumindest ein wenig beleidigt
herum. Als Clinton das Außenministerium verließ, konnten sie ihr noch huldvoll
Applaus spenden, aber jetzt, wo es ernst wird, wo es um das ganz große Ding
geht, das dann so richtig toll zu finden, ist offenbar doch immer noch zu viel
verlangt.
Unter diesem Aspekt mag rückwirken sogar die Euphorie bei der Ernennung
Ihres potentiellen Vorgängers zum Kandidaten im Jahr 2008 ein wenig schal
schmecken. War es vielleicht zu einem guten Teil gar nicht die – vermeintlich -
endgültige Überwindung der ethnischen Diskriminierung, die den medialen Jubel
befeuert hat? Steckte da nicht vielleicht doch eine große Portion „Hauptsache
ein Mann“ drin? Insofern mag man fast erleichtert sein, dass der Gegenkandidat
nun Donald Trump ist. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich ein Gutteil der
schreibenden und sendenden Zunft in unseren Gefilden auf dessen Seite schlägt,
nur um abermals eine Frau im Weißen Haus zu verhindern, ist doch eher gering.
Hoffentlich.
Aber ob sich Presse, Rundfunk und Fernsehen am Ende des 8. November, wenn
feststeht, dass die Nummer 45 eine Frau sein wird, dann endlich dazu hinreißen
lassen, ähnlich geschichtstrunken eine Zeitenwende zu feiern, wie 2008? Wer
weiß, vielleicht haben wir Glück und es haben dann gerade ein paar
Chefredakteurinnen Dienst? Nun, man(n) wird sehen.
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